Bericht über Leben in algorithmischen Welten

Mit der Fortsetzung der Hypernormal Hybrid Serie, zielt dieser Abend auf die Erkundung eines merkwürdigen und faszinierenden Themas unserer algorithmischen Welt ab:  das Unbewusste. Während sich das neoklassizistische Innere der Roten Bar im Volkstheater mit den algorithmischen Klängen der Performance von burn_those_idle_cycles füllt, genießen die Besucher ihre ersten Getränke. Der Abend startet mit der Begrüßung von Anna Badora im Volkstheater. In dem Moment als Konrad Becker das Mikrofon übernimmt, beginnen die algorithmischen Klänge von burn_those_idle_cycles erneut zu spielen. Während sich künstliche und natürliche Sounds vermischen, stellt Becker essenzielle Fragen über die aufkommende Architektur der Kommunikation in unserer Welt, in unseren Städten und unseren Träumen. Was ist der Einfluss dieser neuen Architektur der Kommunikation? Welche Rolle spielen „fiktionale“ Erzählungen und Modelle, die wir kreieren? Welche neuen kulturellen und sozialen Realitäten erscheinen in dieser vernetzten Welt? All diese Fragen sollen den Einfluss neuer technologischen Netzwerke, welche unser urbanes Leben durchdringen, erkennbar machen und somit unsere Wahrnehmung und Taten formen. An diesem Abend richten sich jene Fragen an die Rolle des Unbewussten: ein Abend im Sinne der kybernetischen Träume und fiktionalen Szenarios.

Als Lydia Liu das Podium betritt, beginnt der algorithmische Klang zu verstummen. Sie leitet die Vorstellung der ultimativen Maschine ein, welche von Marvin Minsky entwickelt wurde: eine Maschine die sich selber ausschaltet, als Symbol der faszinierenden Idee des maschinellen Todes und der zur Schaustellung des narzisstischen Kreislaufes des Mensch-Maschine Simulakren. Viele von uns sprechen über Cyborgs, Androiden und Posthumans, entweder wir hassen sie oder lieben sie während diese unsere Träume und sozialen Leben dominieren. Es wird versucht Roboter nach unserem Ebenbild zu erschaffen, während Menschen beginnen sich wie Roboter zu verhalten: Das „Uncanny Valley“ wird zur Zweibahnstraße, wie Liu’s Konzept des „Freudianischen Roboters“ vorschlägt.

Gestützt auf Sigmund Freuds Essay von 1919 das Unheimliche, erklärt Liu, die Quelle des Unheimlichen liege im Bekannten, welches während des Prozesses der Unterdrückung entfremdet wurde. Heute lautet die Frage ob künstliche Intelligenz dieselben unheimlichen Gefühle hervorruft: bringt diese etwas hervor was im Verborgenen bleiben sollte? Dieselbe Frage kann über Masahiro Mori’s Konzept des “Uncanny Valley“ (1970) gestellt werden. Mori argumentiert, dass sobald Roboter den Menschen immer ähnlicher werden, Empathie und Vertrautheit steigt bis zum Erreichen des „Uncanny Valley“. Marvin Minsky’s Vorstellung der Emotion Maschine ist hierbei ebenfalls interessant: ein intelligenter Roboter, welcher mit mentalen Sensoren und Unterdrückern ausgestattet ist, fügt das Feature der maschinellen Emotion bei. Nur durch hinzufügen, eines kognitiven Unbewusstes welches aus Frames, Terminals, Network Systems, aber auch Bugs und Unterdrücker besteht, kann ein Roboter-AI wirkliche Intelligenz erreichen. Was Liu jedoch in Minsky’s Werk vermisst, ist die Anerkennung Freud’s Element des Todestriebs. Sollte es einer Emotion Maschine gelingen dem „Uncanny Valley“ zu entgehen, ist dennoch der narzisstische Kreislauf des Mensch-Maschine Simulakrums gegenwärtig, da wir stets nach einer Version unserer Selbst streben welche den Tod besiegt.

Als Bezug auf Liu, startet Thomas Macho mit der Vorstellung der ultimativen Maschine, da die Frage über das Entstehen solch einer Maschine eine immer größeren Relevanz erlangt, in der heutigen Zeit des technologischen Fortschrittes: existieren bereits suizidale Maschinen die sich selber abschalte in solch einer Geschwindigkeit, dass wir nicht einmal reagieren können? Der „Flash Crash“ in 2010 könnte bereits ein erstes Beispiel maschinellen Suizides sein. Riesige Aktienindices verloren, auf unerklärliche Weise, Milliarden von Dollar binnen weniger Minuten und erholten sich mit selbiger Geschwindigkeit: die Fäden schien eine digitale unsichtbare Hand zu ziehen. Ein weiteres interessantes Beispiel liefert Jean Tinguely’s „Homage to New York“ (1960). Tinguely setzte eine gigantische Kunst-Installation aus Schrott zusammen und designte diese als eine sich-selbst-konstruierende und -zerstörende Maschine.  Marcel Duchamp zitierend “Wenn die Säge die Säge sägt/ Und wenn die Säge, die die Säge sägt/ Die Säge ist, die die Säge sägt/ Dann liegt ein metallischer Suissscide vor”, stellt Macho die Frage: Warum? Warum versuchen wir Maschinen zu designen die unsterblich sind? Laut Liu ist es die Faszination gegenüber der eleganten Einfachheit dieser sich selbst abschaltenden Maschinen: die kybernetische Idee der ultimativen Maschine offenbart unsere Beziehung zu Technologie. Daneben macht Macho die psychoanalytische Schule der Melanie Klein aufmerksam. Aus dieser Schule kommt ein interessantes Konzept dieses abends, dass der Übergangsobjekte. So wie es Donald Winnicott (1953) entwickelte, funktionierte dieses Objekt wie ein Zwischenprodukt von psychischer und äußerer Realität in Kindern. Diese Übergangsobjekte sind interessant da diese zu dem Kind selber gehören aber zur gleichen Zeit die bewusste Separation zwischen dem Kind selbst und dem Objekt darstellen. Übergangsobjekte sind zu gleich wir aber auch die anderen: sie sind das perfekte Beispiel für das Unbewusste.

Auf die selbe Weise wie ein Teddybär ein Übergangsobjekt des Kindes ist, sind unsere technischen Geräte (e.g. Smartphones) Übergangsobjekte für uns. Dort entwickelt sich das „Uncanny Valley“.

Liu führt ihre Idee näher aus und erklärt, dass die analytische Einsicht in die Unterscheidung zwischen einem selber und einem Objekt nicht mehr so klar erscheint. Dies ist ein nützlicher Denkansatz zum Unheimlichen. Schließlich führt Macho die Diskussion in Richtung der Unsterblichkeit, dem versuchten Versprechen des Kapitalismus. Ein Versprechen, welches gemacht wird basierend auf einem System der Zerstörung dessen was ist. Genau wie es als Theorie in Schumpeters Konzept der Schöpferische Zerstörung postuliert wird. Genau dies ist es was laut Liu am Spiel steht: die kapitalistische Maschine läuft mit Zerstörung, auf Grund dessen Profit gemacht wird. Jedoch läuft, wie Lacan sagt, die Maschine so lange bis sie überlastet und sich selber zerstört. Solange sie sich nicht selber zerstört, ist sie wie das Unbewusste: sie läuft einfach. Dies ist exakt der Grund warum die ultimative Maschine eine kapitalistische Maschine ist: die Verleugnung des Todes ist eingebaut, sowie gleichzeitig ihre Selbstzerstörung.

Als der Science-Thriller-Autor Marc Elsberg und Felix Stadler (World-Information Institute) die Bühne betreten, wird das Thema der Imagination das zentrales Element der Diskussion. Die Frage hier ist: was bedeutet die Beziehung zwischen Fiktion und Realität? Oder genauer: Was ist es das Novellen erfassbar machen können, was in anderen Formen des Schreibens nicht möglich ist? Etwas, dass laut Elsberg, in der emotionalen Ebene gefunden werden muss, worauf sich fiktionale Geschichten stützen können. Dies macht Novellen außerdem interessant, wenn es um die Entwicklung von Scenarios geht. Während Entscheidungsträger und Planer viele Szenarios entwickeln können, kann der Novellist immer nur ein Werk schreiben. Die Idee ein Publikum zu haben, welches ein emotionales Engagement zur Erzählung entwickelt, ist deshalb nie weit weg für einen Fiktion-Autor. Ein anderes interessantes Phänomen, im Bezug auf Fiktion und ihr Publikum, ist die Frage nach der Vorstellungskraft der fiktionalen Erzählung. Stanley Kubrick´s 2001: Space Odyssey und dessen Darstellung von “HAL 9000” bieten ein gutes Beispiel, ebenso wie auch William Gibsons´ Konzept von „cyberspace“. Wann erreicht Fiktion so einen Status? Dies hängt hauptsächlich davon ab, wie die Erzählungen interpretiert werden können und vom imaginativen Anspruch der techno-futuristischen Vision der Geschichte. Genau aus diesem Grund sind so viele Science-Fiction-Autoren darauf bedacht, stets über die letzten Entwicklungen in ihrem Feld informiert zu bleiben. Ein Beispiel dafür ist Arthur C. Clarke, der zu Claude Shannon in Bell Labs fuhr, wo er auf eine reale Version der ultimativen Maschine traf. Elsberg selber war immer sehr beschäftigt mit neuen Technologien. Zudem trifft er sich regelmäßig mit Experten aus akademischen Felder wie Anthropologie, Informatik und Soziologie. Der Kunst ist die Materie bis zu einem essentiellen Thema zu komprimieren und dadurch die Erzählung anzutreiben, um die Komplexität in etwas umzusetzen, welches des Lesers Leseerfahrung steigert. Dieses Zusammenspiel zwischen komplexen Erklärungen, Fiktion und einer Welt voll mit Möglichkeiten ist generell sehr faszinierend. Das darstellen von Muster und Modellen ist etwas, was viele von uns begeistert und auf viele unterschiedliche Weisen gemacht wird: von algorithmische Notwendigkeiten über erzählerische Darstellungen bis zu Verschwörungstheorien. Das Schreiben von Sciencefiction belegt hierbei eine interessante Position, da dies die Entwicklung der Erzählungen erlaubt, welche die symbiotische Beziehung zwischen Notwendigkeit und Kontingenz erlebt, mit spielerischer Vorstellungskraft. Mit der Fortsetzung der Hypernormal Hybrid Serie, verschwimmt die Grenze zwischen der kybernetischen Realität und dem maschinellen Unbewussten und die Trennung von algorithmischen Mustern und fiktionale Szenarios, mehr und mehr.