Public Netbase – revisited

Von 1994 bis 2006 war Public Netbase ein globaler Knotenpunkt der kritischen Netzkultur und der Medienkunst. Aber nicht nur das, Public Netbase war ein Produzent stragetischen Wissens im Interesse der Öffentlichkeit, ein Trainingszentrum für KünstlerInnen und AktivistInnen und über die Jahre entstand ein umfangreiches digitales Archiv radikaler Theorien und Praxen.

Erschienen in Spike Art Magazine #49 Autum 2016

 

Felix Stalder: Du hast Public Netbase 1994 zusammen mit Francisco de Sousa Webber gegründet. Wie ging das Ganze los?

Konrad Becker: Das Internet war im Kulturbetrieb damals noch etwas sehr Exotisches. Daher stellten wir zunächst einfache, praktische Dinge zur Verfügung – einen Internetzugang als Bandbreite noch sehr teuer war, Tools, eine Email-Adresse und eine „Homepage“. Aber wir unterstützten auch fortgeschrittenere Projekte von KünstlerInen, AktivistInnen und verschiedenen sozialen Gruppen. Darüber hinaus ging es auch darum, Teil eines internationalen Netzwerks von kritischen Praktiken zu sein und den Austausch von Ideen zu intensivieren.

Als Online-Plattform wurde Public Netbase schnell zu einer der am meisten besuchten Kultur-Webseiten, während wir in unserem Raum in Wien Workshops hielten, Vorträge, Präsentationen, Performances, Konferenzen und Ausstellungen machten. Es gab zum Beispiel die „Erste Intergalaktische Konferenz“ der „Association of Autonomous Astronauts“, die 1997 „space travel by any means necessary“ propagierten, oder Veranstaltungen zu Themen wie digitale Menschenrechte und Informationskrieg oder kulturelle Gemeingüter. Das machte Public Netbase zum wahrscheinlich einzigen Ort, wo sich hochrangige Mitglieder des kulturellen Establishments zu radikalen Cyberpunks gesellten.

Felix Stalder: In den 80ern warst du Musiker und Medienkünstler, oft in Kollektiven oder anonymen Zusammenhängen (zum Beispiel mit dem elektronischen Musikprojekt „Monotonprodukt“). Aber im Fall von Public Netbase hast du dich dafür, entschieden eine öffentliche Institution zu deinem künstlerischen Projekt zu machen. Warum?

Konrad Becker: KünstlerInnen können auf sich neu bildende, noch undefinierte Felder verändernd einwirken. Es ergab sich die Gelegenheit, Einfluss auf die Situation zu nehmen, nicht nur durch aktive kulturelle Arbeit, sondern auch in der direkten Auseinandersetzung mit den politischen Entscheidungsträgern. .

Es braucht aber eine gut organisierte Gruppe, um mit der Komplexität umgehen zu können. Auch temporäre Interventionen unabhängiger Gruppen brauchen einen Rahmen, um spontan entstehen zu können. Manchmal hatten wir bis zu zwei duzend reguläre Mitarbeiter und mehr. Wir hatten die Ambition, noch über taktisches hinaus zu gehen und uns in die gehüteten Gefilde der Strategien und  Strukturen vorzu wagen.

Public Netbase basierte auf einer anderen künstlerischen Idee als die überkommene Vorstellung vom einsamen Genie, aber positionierte sich auch gegen das aufkommende Modell der Kreativindustrie, der Ich-AG. Es ging um eine kollektive transdisziplinäre Praxis, die auf Prozessen anstelle von ästhetisierten Artefakten basierte. Es war ein gemeinsamer Versuch, die Werkzeuge in die Hand zu bekommen, die unsere Vorstellungswelten formen – die Waffen der Zukunft.

Felix Stalder: Public Netbase war immer sehr lokal und international zugleich. Wie war das damals möglich?

Konrad Becker: Viele KünstlerInnen, TheoretikerInnen und AktivisteInnen, deren Arbeit mich interessierte, waren über die ganze Welt verstreut. Das Wien des Kalten Krieges brütete in selbst-bezogener kultureller Isolation, sogar einfache Ferngespräche waren unerschwinglich. Aber die Underground-Rave-Szene begann schon so etwas wie ein globales Netzwerk auszubilden. Das zeigte, dass sich marginalisierte Gruppen der ganzen Welt austauschen können, sich organisieren und ihre Ressourcen teilen. Das Internet stellte diesbezüglich aber einen Quantensprung dar. Natürlich gab es in Wien auch lokale Mailboxes, aber ein echtes globales Netzwerk interessierte uns viel mehr. Zugleich intervenierten wir in den lokalen kulturellen Dynamiken und setzten unsere „Agenten“ ein, um die Ergebnisse zu beeinflussen.

Felix Stalder: Mitte der 90er hast du den Begriff „cultural intelligence“ geprägt. Was bedeutet er?

Konrad Becker: Für  Bedeutung von„intelligence“, wie sie  auch  in Central Intelligence Agency (CIA) drinn steckt, gibt es keine richtige deutsche Entsprechung,  am nächsten kommt  wohl „strategisches Wissen“. AgentInnen der „cultural intelligence“ entmystifizieren die Macht der Medien über die Materie. Sie nutzen Technologien des Vorstellungsvermögens, um eine andere Geschichte zu erzählen; oder einen Informationskontext zur Verfügung zu stellen, um die Regeln zu ändern und das Spiel anders zu spielen.

Eine unserer Grundannahmen war: Spricht man über das Informationszeitalter, sollte man auch über Desinformation sprechen. In den 90ern kam die Business-Intelligence auf, ein boomender Markt für undurchsichtige Agenturen. Auf der anderen Seite gab (und gibt) es ein großes Bedürfnis nach unabhängiger Forschung im öffentlichen Interesse statt einer interessengesteuerten Agenda.

Ein anderer Ausgangspunkt war, dass militärische Operationen immer mehr mit kulturellen und nicht mit kriegerischen Mitteln geführt werden. Die Beanspruchung der Kultur zu strategischen Zwecken wurde immer intensiver und 1999 verkündete Fidel Castro vor der UNESCO, dass „Kultur die Waffe des 21. Jahrhunderts“ sein werde.

Bilder sind immer „künstlerisch“, also können KünstlerInnen im Enthüllen und Hacken der Konstruktion mediatisierter Wirklichkeit eine aktive Rolle spielen. Sie könnten mehr machen als in ästhetisierten Produktionszyklen affektive Stimuli zu liefern. Wir nannten dies die Politik des „hyper space“, um zu zeigen, dass das Virtuelle und das Reale, das Symbolische und das Materielle, verkoppelt sind. Das kybernetische Innen und Außen sind miteinander verbunden. Man darf nicht vergessen, das war eine Zeit als andere darüber fantasierten, den Cyberspace für unabhängig zu erklären.

Auf einer praktischen Ebene setzte sich das in ziemlich diverse Aktivitäten um. Öffentliche Interventionen hatten die Positionierung des Museumsquatiers im Auge (wo wir damals angesiedelt waren). Zahlreiche Operationen am Karlsplatz hatten das Ziel, die damals anstehende urbane Entwicklung eines zentralen Orts in Wien zu beeinflussen– darunter „Nikeground“ (2003; in Zusammenarbeit mit 0100101110101101.ORG), ein Fake-Branding Projekt dass u.a.die Privatisierung des öffentlichen Raums thematisierte; oder „S77CCR“ (2004; in Zusammenarbeit mit Projekt Atol), ein Anti-Überwachungsprojekt mit Drohnen. Wir machten einerseits große Ausstellungen zu Kontrolltechnologien und der Bedeutung einer öffentlichen Infosphäre in etablierten Institutionen wie dem Technischen Museum Wien, waren aber ebenso involviert in die Oppositionsbewegung auf Strassen und Plätzen gegen die rechte Regierung, die 2000 an die Macht kam.

Das führte letztlich zum Untergang des Projekts. Unser Ziel war es immer, uns von einer rein symbolischen zu einer strategischen Aktion zu bewegen, soziale Dynamiken durch kulturelle Projekte zu beinflussen. Man könnte sagen, dass wir zu erfolgreich wurden und die öffentlichen Förderstellen dauerhaft gegen uns aufbrachten. Alle Förderungen von Seiten der Stadt Wien wurden eingestellt und wir mussten 2006 schließen. Aber noch im selben Jahr formierten wir uns als World-Information Institute neu und sind bis heute aktiv.

 

Felix Stalder ist Professor für digitale Kultur und Netzwerktheorien an der Zürcher Hochschule der Künste, und moderiert auf Nettime.

Aus dem Englischen von Ruth Ritter